Zwischen „Glafeysgarten“ und „Sandrart“ – ein historischer Spaziergang am westlichen Ende der Sandrartstraße

//Zwischen „Glafeysgarten“ und „Sandrart“ – ein historischer Spaziergang am westlichen Ende der Sandrartstraße

Zwischen „Glafeysgarten“ und „Sandrart“ – ein historischer Spaziergang am westlichen Ende der Sandrartstraße

Eine Woge der Erleichterung schwappte durch St. Johannis, als 2015 die Gerüste fielen und das 1908 von Johann Rickmeyer erbaute Jugendstil-Eckhaus Rohledererstraße 19 in neuem, alten Glanze erstrahlte. Es war auch höchste Eisenbahn: Nach Jahrzehnten mangelnder Instandhaltung waren zuletzt ganze Fladen des Putzes und mit ihm Teile der reichen Stuckdekorationen abgefallen, die rankendes Pflanzenornament, Pfauen und eine erhaben dastehende weibliche Personifikation der Baukunst zeigen. Aus Anlass der Restaurierung dieses Johanniser Schmuckstückes hat Claudia Maué die Geschichte des Hauses in den Mitteilungen des Bürgervereins (Ausgabe 81/2017, S. 21-25) aufgearbeitet.

Die Rohledererstraße 19, könnte man meinen, ist eine Ausnahmeerscheinung in der Nürnberger Architektur der Zeit um 1900. Heute mag das stimmen. Zur Bauzeit des Hauses allerdings waren die mit reichem Stuckdekor verzierten Fassaden in unserer sandsteinseligen Stadt Legion. Nach einer langen Periode, in der Schaufassaden aus Vollsandstein oder aus Sichtklinkern mit Sandsteinelementen dominiert hatten, setzte sich kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende in Nürnberg mehr und mehr die Putzfassade durch. Teile der Fassadengliederung und meist auch die Erdgeschosse fügte man weiterhin aus Sandstein.

Nach der überfälligen Restaurierung darf das zuletzt schwer gezeichnete Jugendstilhaus Rohledererstraße 19 wieder glänzen. Die beiden Aufnahmen stammen von 2009 und 2016. Fotos: Sebastian Gulden/Boris Leuthold

Die Stadtbildkosmetik der Nationalsozialisten, die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und der drängende, aber in der Umsetzung gründlich misslungene Wunsch weiter Teile der Eigentümerschaft in den Nachkriegsjahren führten dazu, dass derart geschmückte Fassaden heute Seltenheitswert besitzen. Das Gros der kahlen Altbaufassaden, die uns heute im Straßenbild begegnen, war ehedem mehr oder minder reich verziert. Die Ursprünge der „Entstuckung“ und „Entschmuckung“ liegen in den 1920er Jahren, als schon einmal der stereometrische Baukörper ohne Schnickschnack in Mode gekommen war. Der kleine, aber entscheidende Unterschied: Damals bemühten die Hausherrn für derlei Eingriffe noch Architekten, die die Hausfassaden mit ästhetischem Sachverstand neu gestalteten. In den 1940ern und 1950ern rückte dann auch schon mal ein gelernter Metzgermeister mit seinem neu erworbenen Sandstrahler an, um mit viel Enthusiasmus, aber sehr wenig Ahnung von Baukunst und -technik die „alde Hüddn“ ihres als überflüssig empfundenen, oft schon im Krieg ramponierten Schmuckes vollends zu entkleiden.

Auch das Mietshaus Sandrartstraße 52, Ecke Kirchenweg wurde wohl nach dem Krieg ein Opfer der „Entstuckung“ und des Geschäftsfleißes eines Fensterbauers, der die ehedem reich gegliederten Füllungen durch Modelle mit einfacher oder ganz ohne Teilung austauschte. Geblieben sind allein die malerische Kubatur und geglättete Reste der ursprünglichen Fassadengliederung, die dem städtebaulich bedeutenden Gebäude ein wenig Charme bewahrt haben.

Als unsere historische Ansichtskarte 1909 entstand, war im Erdgeschoss die Kneipe „Glafeysgarten“ beheimatet. Während die Rohledererstraße tatsächlich nach einem alten Garten benannt ist (nämlich den des Leonhard Rohlederer, † 1666), ist der Wirtshausname ein Kunstwort: Er geht zurück auf die Nachtlichtefabrik Gottlob Glafey, die im selben Jahr ihre neuen Betriebsstätten in der nahen Frauenholzstraße 10 bezogen hatte. Ein Teil ihrer Gebäude existiert noch heute und dient als Kindertagesstätte; die Firma selbst besteht als kleine, aber feine Manufaktur in Gebersdorf fort, wo man ihr 1966 eine Straße gewidmet hat. Der Bestandteil „-garten“ ist vermutlich ein Fantasieprodukt des ersten Gastwirtes Michael Hietmann, das den Eindruck von Beschaulichkeit und Idylle wecken sollte. Einen Biergarten hatte das Etablissement nämlich nie, ist der dauerverschattete Hofraum hinter dem Haus doch geradezu winzig.

Die Kreuzung Kirchenweg und Sandrartstraße (in der Mitte jeweils die Nr. 52), 1909 und 2014. Was einst als städtebaulich prägnante Ecke geplant und gebaut wurde, hat durch „Modernisierung“ nach dem Krieg ordentlich an Charme einbüßen müssen. Fotos: Josef Weitmann (Sammlung S. Gulden)/Boris Leuthold

Unsere alte Ansicht zeigt auch, wie reich die Fassaden des Hauses Nr. 52 dereinst mit Stuckaturen verziert waren: Gefelderte und mit geometrischem Ornament versehene Pilaster betonten die Gebäudeecken, kannelierte Gesime und bogig geschlossene Fensterumrahmungen mit Ornament-Appliken belebten die Fassadenflächen. Die Krönung des Bauschmuckes, städtebaulich höchst sinnvoll zur Kreuzung Kirchenweg/Lobsingerstraße ausgerichtet, bildete der Giebel an der Hausecke, wo sich zwei von Schriftbändern umwundene Bäume zu einer üppigen Krone vereinten.

Auch ohne die historische Ansicht gewinnt man, wenn man der Sandrartstraße weiter nach Osten folgt, eine Vorstellung davon, wie das Eckhaus einst ausgesehen haben mag: An den Mietshäusern Nr. 50 bis 46 hat sich der ursprüngliche Bauschmuck, teils aus Stuck, teils aus Sandstein, nämlich weitgehend erhalten. Die gesamte Häuserreihe, mit Ausnahme der Rohledererstraße 19, geht auf den Entwurf des Nürnberger Architekten Michael Renker zurück. Daher rührt auch die verwandte Gestaltung der einzelnen Häuser, die durch geschickte Variation als Einzelstücke und das Ensemble als organisch gewachsener Bestand wirken.

Die geschlossene Bebauung mit Mietshäusern mit Anleihen an den Jugendstil zieht sich auch an der Südseite der Sandrartstraße bis in den Kirchenweg hinein. Die beiden Häuser rechts (Kirchenweg 61/63) sind Werke von Franz Gerhager. Foto: Boris Leuthold

Michael Renker, heute praktisch vergessen, gehörte um 1900 zu den großen Namen des Nürnberger Mietshausbaus. Aus Hausen bei Forchheim stammend, hatte er sich 1898 an der Noris mit einem eigenen Bautechnischen Büro selbständig gemacht. 1904 residierte er geradezu fürstlich in der Roritzerstraße 34, wo er Büro und Wohnung genommen hatte. Möglicherweise hatte Renker auch beim Entwurf der Häuser gegenüber (Sandratstraße 45–63) die Finger im Spiel, doch fehlen uns dazu noch die Belege. Die beiden Wohnhäuser Kirchenweg 61 und 63 jedenfalls stammen aus der Feder eines weiteren Baukünstlers, nämlich Franz Gerhager (1907), und bestechen durch ihren besonders zarten, fantasievollen Stuckdekor aus ornamenthaften Bäumen, Blumen, Festons, Putti und Maskarons.

Bautechniker Georg Philipp Höfler griff zu Altbewährten, als er 1904 das Eckhaus Sandratstraße 42/Rohledererstraße 28 entwarf. Jedenfalls, was die Wahl des Rotsandsteines für die Straßenfassaden anbelangt. Architektur und skulpturale Gestaltung dieses wunderbaren Beispiels Nürnberger Baukultur – freilich längst unter Denkmalschutz – vereinen den seinerzeit „hippen“ Jugendstil und den konservativen Nürnberger Stil in einer harmonischen Melange. Insofern passt es ausnehmend gut zu dem nun restaurierten Prunkbau gegenüber. Auch Höfler, Sohn eines Maurermeisters und in Johannis aufgewachsen, gehört zu den prägenden Namen des Nürnberger Mietshaus- und Villenbaus. Ihm verdanken wir etwa die spätklassizistische Villa des Schraubenfabrikanten Karl Göbel (Jagdstraße 6), das Eckhaus Johannisstraße 68 im Nürnberger Stil und die neubarocke Villa des Ofenfabrikanten Franz Mayer in der Schweppermannstraße 66. Nach dem Ersten Weltkrieg wechselte Höfler in städtische Dienste. Als Planer im Hochbauamt war er unter anderem am Ausbau der Werkstatten im Hof des Opernhauses beteiligt.

Das schmucke Eckhaus Sandrartstraße 42/Rohledererstraße 28, hier auf zwei Aufnahmen von etwa 1930 und 2016, hat die Stürme der Zeiten recht gut überstanden. Fotos: Liebermann & Co. (Sammlung S. Gulden)/Boris Leuthold

Auch im Eckhaus Sandrartstraße 42 ist seit Jahr und Tag eine Gaststätte zu Hause, die um 1930, wie auch die Straße selbst, nach dem Maler, Grafiker und Kunsthistoriker Joachim von Sandrart (1606–1688) benannt war. Später firmierte die Wirtschaft unter den Namen „Zum Fäßla“ und – seit 2012 – als spanisches Tapaslokal „El Bar“. Die nun verschwundene Kneipe im Erdgeschoss der Rohledererstraße 19 existierte seit mindestens 1912, seit 1933 dann unter der letztgültigen Bezeichnung „Vater Max“.

Das Bewohnermilieu im Westteil der Sandrartstraße war übrigens schon immer recht gemischt: Neben Kranführern, Straßenbahnschaffnern, Bildschnitzern und kleinen Kaufleuten nannten Mitte der 1920er Jahre auch vermögende Bankdirektoren diesen schönen Flecken in Johannis ihr Zuhause.

Jenseits der Gaststätte „Zum Sandrart“ ist in Richtung Osten erstmal Schluss mit der bürgerlichen Pracht der vorletzten Jahrhundertwende. Die großen Mietshäuser bis zur Querung Hallerstraße entstanden erst ab den späten 1920er Jahren. Auch sie sind beredte und typische Zeugnisse ihrer Zeit, freundlicherweise teils auch gleich mit Inschrifttafeln mit Angaben zu Baujahr und Architekt versehen. Doch sie gehören in einen anderen Kontext und zu einer anderen Geschichte.

Heute wirkt das schöne Ensemble am westlichen Ende der Sandrartstraße und dessen Fortsetzung am unteren Teil des Kirchenweges teilweise ein wenig verlottert. Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Hinter den toten Einscheibenfenstern, den 70er-Jahre-Stahlrahmentüren und bisweilen etwas schrödelig verbastelten Ladeneinbauten verbirgt sich ein städtebaulicher Schatz, ein Stück St. Johannis, das der liebevollen Instandsetzung harrt.

Sebastian Gulden

2021-03-28T16:45:53+02:00