Zur Geschichte der Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus

//Zur Geschichte der Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus

Zur Geschichte der Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus

Mit einem Erlass vom 31. Oktober 1518 verfügte Kaiser Maximilian, dass Bestattungen nur noch außerhalb der Nürnberger Stadtmauern stattfinden durften. Dieses Datum gilt heute als Grundlage für die Feierlichkeiten zum 500jährigen Bestehen der Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus als Begräbnisstätten für die Nürnberger Bürger, auch wenn die Weihe der Friedhöfe beziehungsweise ihrer Erweiterung erst später vollzogen wurde.

Abbildung 1: St. Johannisfriedhof von Ostern, Johann Alexander Boener 1702-1708.

Der Nürnberger Magistrat hatte sich schon zuvor Einfluss auf eigentlich kirchliche Belange angemaßt und sah sich nun darin bestätigt. Er hatte sich schon länger darum bemüht, für die Bürger Begräbnisstätten außerhalb der Stadtmauern zu erschließen. Für die Toten der Sebalder Stadtseite konnte er auf den bereits bestehenden St. Johanniskirchhof zurückgreifen, der vor 1250 als Friedhof für den Siechkobel an der Straße nach Frankfurt eingerichtet worden war und der auch als Pestfriedhof diente. Er ließ sich ohne große Umstände erweitern, indem man nach Süden „mit der Mauer herausruckte“ (Abbildung 1). Es hätte sich angeboten, auf der Lorenzer Stadtseite ebenso zu verfahren und den an der Straße nach Augsburg liegenden Friedhof des Siechkobels bei St. Leonhard zu nutzen – zumal St. Leonhard kirchenrechtlich zu St. Lorenz gehörte. Diesen Plan verwarf man jedoch bald, da die feuchte Beschaffenheit des Erdreichs bei St. Leonhard für die zu erwartende große Zahl an Bestattungen nicht geeignet schien. Also suchte der Stadtrat einen Baugrund mit sandigerem Boden in größerer Nähe zur Pegnitz und kaufte schließlich im Mai 1518 einen Acker vor dem Spittlertor, an der Straße nach Sündersbühl nahe der Vorstadt Gostenhof (Abbildung 2). Am 21. März 1519 weihte der Bamberger Bischof sowohl den neuen St. Rochusfriedhof als auch die Friedhofserweiterung bei St. Johannis. Erst 1520/21 erbaute der Stadtbaumeister Paulus Behaim auf dem neuen Friedhof für die Patrizierfamilie Imhoff als Begräbnisstätte ihrer Angehörigen die dem Pestheiligen St. Rochus geweihte Kapelle, die eine reiche Ausstattung u.a. mit Glasfenstern nach Entwürfen Albrecht Dürers erhielt.

Abbildung 2: St. Rochusfriedhof von Süden, Samuel Mikovinyi um 1728.

Der St. Johannisfriedhof erfuhr später mehrmals Erweiterungen, bei denen die ursprünglichen Außenmauern als Trennwände stehen blieben. Die Vergrößerung nach Norden führte 1644 der Stadtbaumeister Johann Carl durch, dem auch das prachtvolle Portal an der Johannisstraße zu verdanken ist – ein anspruchsvolles Bauunternehmen mitten im Dreißigjährigen Krieg! Die nächste Erweiterung bis zur Lindengasse mit dem Ostportal entstand ebenfalls unter Carls Regie. Erst im 19. Jahrhundert kam es nach einer Verlegung des Schießhauses zu einer großflächigen Ausdehnung des Friedhofs nach Süden und Westen, wobei die Abgrenzung im Südwesten gegen die Brückenstraße durch die von Baurat Bernhard Solger 1856-1860 als Grufthalle errichteten „Arkaden“ und die 1888 – 1889 nach Plänen Heinrich Wallraffs erbaute Leichenhalle geschah. In den im 19. Jahrhundert erschlossenen Friedhofspartien gab man das Prinzip der liegenden Grabsteine weitgehend auf und passte diesen Teil des St. Johannisfriedhofs dem allgemein herrschenden Zeitgeschmack an.

 

Abbildung 3: Kriegszerstörungen am St. Rochusfriedhof, Aufnahme um 1947.

Auch der St. Rochusfriedhof erfuhr Erweiterungen nach Norden und Westen, blieb in seinen Dimensionen aber weiter hinter dem St. Johannisfriedhof zurück. Nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs, dem neben zwei Gebäuden zahlreiche Grabstätten zum Opfer fielen und die Imhoffkapelle schwer zerstört wurde (Abbildung 3), verlegte man die östliche Abschlußmauer und ihre Portale. Damals barg die Stadtverwaltung einige Epitaphien vom St. Rochusfriedhof, die seither in der Unteren Denkmalschutzbehörde verwahrt wurden. Diese Epitaphien werden ab dem 18. Oktober 2018 in der Ausstellung des Vereins Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur mit dem Titel „500 Jahre Nürnberger Epitaphienkultur. Kunst – Geschichte – Gedenken“ im „Offenen Büro“ in der Lorenzer Straße 30 zu sehen sein.

Durch die Reformation festigte der Stadtrat seine Stellung als alleiniger Träger der landeskirchlichen Gewalt, welche er in der Brandenburg-Ansbach-Nürnbergischen Kirchenordnung von 1533 bekräftigte. Dementsprechend regelten Ratsbeschlüsse alle die Friedhöfe betreffenden Vorgänge. Die Verwaltung der Friedhöfe war einem „Grabstättenamt“ anvertraut, das von einem Kirchenpfleger geleitet wurde. Ihm unterstanden die Totengräber und Steinschreiber, welche seit dem späten 16. Jahrhundert die Nummerierung der Grabsteine durchführten. Der Pfleger führte die Kaufverhandlungen für die Grabstätten. In den Kaufurkunden, den so genannten „Grabbriefen“, verzeichnete er nicht nur die Lage des Grabes, den Namen des Käufers und das Datum, sondern hielt auch Informationen über die zuvor in den verkauften Gräbern bestatteten Personen fest und überlieferte die Inschrift der entfernten Epitaphien. Außerdem wurden in den „Grabstättenbüchern“ die Belegung der einzelnen Grabstätten und in den „Leichregistern“ oder „Leichenjournalen“ der Ablauf der Beerdigungen in chronologischer Reihenfolge dokumentiert. Diese akribisch geführten Akten haben sich fast vollständig im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg erhalten und bilden reichhaltige Quellen für die Erforschung der Epitaphien.

Der Stadtrat nahm aber auch direkten Einfluß auf den Ablauf der Beerdigungen. Um der zunehmenden finanziellen Verschwendung zu begegnen, erließ der Rat 1611 eine erste „Leichenordnung“, der bis zum Jahre 1806 weitere 13 folgten – ein Indiz dafür, dass die Bestimmungen für die in fünf Kategorien eingeteilten Bestattungsfeierlichkeiten immer wieder überschritten wurden. Die minutiösen Vorschriften beschränkten u.a. die Beigabe von Blumen oder anderer Grabbeigaben. Den Leichenordnungen verdanken wir auch Nachrichten über die Verwendung von Särgen, die sich nach anfänglicher Ablehnung durch den Stadtrat erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts einbürgerte. Zuvor waren die Toten in Sargtücher gehüllt begraben worden. Auch in Bezug auf die Särge und deren Schmuck versuchten die Stadtväter den finanziellen Aufwand einzudämmen.

Nach 1810 erfolgte die Friedhofsverwaltung durch eine staatliche, ab 1818 wieder durch eine städtische Behörde, welche 1836 durch die neue gegründete Verwaltung des Vereinigten protestantischen Kirchenvermögens abgelöst wurde. Heute sind die beiden historischen Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus der Evangelisch-Lutherischen Friedhofsverwaltung unterstellt. An diese sollten sich Interessenten für Grabstellen wenden, denn im Gegenzug zur früheren Zeiten sind heute zahlreiche Grabstellen auf beiden Friedhöfen frei.

Mit ihren in ununterbrochenen 500jähriger Tradition entstandenen Epitaphien stellen die historischen Nürnberger Friedhöfe einen Spiegel der Stadtgesellschaft dar. Allerdings betrifft dies nur die mittleren und oberen Bevölkerungsschichten, welche sich eine Grabstätte mit Stein und Epitaph leisten konnten. Angehörige der unteren Schicht wurden in „Gemeingruben“ bestattet, Kinder im so genannten „Kinderplätzlein“. Handwerksgesellen erhielten ein Begräbnis in Gemeinschaftsgräbern, welche aus einer eigens dafür eingerichteten Kasse bezahlt oder in seltenen Fällen von den Meistern gestiftet wurden. Allerdings hatten auch einige Bauern aus dem Knoblauchsland Gräber auf dem St. Johannisfriedhof; sie werden bei einer Führung des Vereins Nürnberger Epitaphienkunst und – kultur in Kooperation mit dem Verein Nürnberger Bauernhausfreunde am 13. Oktober 2018 gezeigt.

Gerade die Standesunterschiede durften aber in Nürnberg um des innerstädtischen Friedens willen keinen Ausdruck in der Gestaltung der Grabstätten finden. Daher war Form und Größe der großen Sandsteinblöcke genormt, mit denen die Gruben wohl als Schutz vor Tieren bedeckt waren. Der Stadtbaumeister fertigte 1522 für beide Friedhöfe Mess-Stäbe an, mit denen man die erlaubte Größe der Grabsteine (6 Nürnberger Werkschuh lang, 3 Nürnberger Werkschuh breit, das entspricht 83,52 cm x 167,04 cm) kontrollieren konnte. Einer dieser Stäbe hängt heute an der Westseite der Holzschuher-Kapelle im St. Johannisfriedhof, der zweite, vermutlich vom St. Rochusfriedhof stammende, an der Westfassade der Lorenzkirche neben dem Teufelsbrunnen. Die streng kubische Form der Grabsteine wich im 17. Jahrhundert allerdings einer sarkophagähnlichen Gestalt mit barock ausschweifenden Konturen.

Abbildung 4: Epitaph des Panzermachers Michael Kobolt von 1596.

Ebenso streng wie die Grabsteinmaße regelte der Nürnberger Magistrat den Schmuck der liegenden Sandsteinblöcke. Es waren nur metallene Grabschilde erlaubt, die so genannten Epitaphien – ein Begriff aus der griechischen Sprache, der „am Grab, in der Nähe des Grabes“ bedeutet. Allerdings bestand trotz dieser Beschränkung die Möglichkeit, über die Größe und Gestaltung der Epitaphien individuelle Geltungsansprüche zu befriedigen. So finden sich kleinformatige, schlichte Epitaphien wie dasjenige des Panzermachers Michel Kobolt mit der Abbildungen eines Kettenhemdes neben der den ganzen Stein bedeckenden Tafel des Großkaufmanns Martin Peller, die eine plastisch anspruchsvolle Darstellung des hl. Martin als Namenspatron des Auftraggebers zeigt (Abbildungen 4 und 5). Eine besonders prächtige Gestaltung ermöglichten die Grabstätten an den bestehenden Friedhofsmauern, deren aufragende Mauerflächen zusätzlich zum Epitaph auf dem Grabstein mit Gemälden und Skulpturen geschmückt werden konnten (Abbildung 6). Offenbar waren diese Grabstätten aber nicht den Patriziern vorbehalten, sondern wurden auch an andere, ebenso zahlungskräftige Bewerber vergeben. Diese „Portale“ genannten Wandepitaphien verschwanden beim Abbruch der Mauern 1855-1856; allein das in die Mauer neben dem Nordportal eingelassene Schlütter-Grabmal von 1647 vermittelt noch einen Eindruck von der Monumentalität dieser „Portale“.

Der Bevölkerungsstruktur der beiden Stadtteile entsprechend unterscheiden sich auch die beiden Friedhöfe. Der St. Johannisfriedhof ist als Grabstätte der meisten Patrizier, Kaufleute, Künstler und Gelehrten wie Albrecht Dürer und Willibald Pirckheimer der stärkere Besuchermagnet für Nürnberger und Touristen gleichermaßen. Dagegen ist der St. Rochusfriedhof vor allem von seinen Handwerkergräbern geprägt, was ihm auch die Bezeichnung „Handwerkerfriedhof“ eingetragen hat. Dessen ungeachtet birgt er aber auch Gräber vieler prominenter Nürnberger wie Paulus Behaim (Erbauer der Rochuskapelle), Peter Vischer d.Ä. (Schöpfer des Sebaldusgrabes), Caspar Nützel (Förderer der Reformation in Nürnberg), Salomon Schweigger ( Prediger an der Frauenkirche, Orient-Reisender und Verfasser der ersten deutschsprachigen Koran-Übersetzung), Johann Pachelbel (Komponist des weltberühmten „Kanons“), Dr. Peter Schönlein (Nürnberger Alt-Oberbürgermeister), und auch Hans Sachs hat hier seine Ruhestätte gefunden.

Abbildung 5: Epitaph des Kaufmanns Martin Peller von 1629.

Die offen auf den Grabsteinen liegenden Epitaphien haben zu allen Zeiten die Begehrlichkeit von Dieben geweckt. Nach solchen Raubzügen informierte der Stadtrat Kupferschmiede, Glockengießer sowie andere metallverarbeitende Handwerke und hielt sie zur Anzeige des ihnen angebotenen Diebesgutes an. Man warnte außerdem die „Judenschafft“ in Fürth davor, gestohlene Epitaphien anzukaufen oder zu „verschleichen“. Als Mittel gegen Diebstähle wurde empfohlen, einschlägig bekannten Wiederholungstätern aufzulauern und sich ihrer „mit einem leichten Schrot-Schuß“ zu bemächtigen, wozu dem Aufseher eine Art Kopfgeld versprochen werden solle. Beim letzten Raub erbeuteten im Oktober 2014 Diebe 41 Epitaphien vom St. Rochusfriedhof. Durch die Aufmerksamkeit eines Schrotthändlers konnten 22 teils schwer beschädigte Epitaphien sichergestellt und nach ihrer Restaurierung im Frühjahr 2018 wieder auf den Grabsteinen angebracht werden. Der Diebstahl führte drastisch vor Augen, dass eine Sicherung der historischen Friedhöfe ebenso aussteht wie eine vollständige Erfassung seiner Grabstätten.

Zwar existieren bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert handschriftliche Aufzeichnungen über die damals existierenden Inschriften der Epitaphien auf beiden Friedhöfen. Dazu kommen gedruckte Inventare von 1682 und speziell für den St. Johannisfriedhof von 1736. Das Kurzinventar des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege veröffentlichte 1961 bzw. 1977 eine knappe Liste der historischen Epitaphien auf beiden Friedhöfen, allerdings mit dem Schwerpunkt auf der Zeit vor 1800. Auch die in jüngerer Zeit erschienenen Sammelwerke wie das dreibändige Inschriftencorpus von Peter Zahn erfassen „lediglich“ die Epitaphien bis 1650 bzw. schließen mit dem Ende der reichsstädtischen Zeit 1806 ab, wie das heraldisch orientierte, ebenfalls dreibändige Werk der „Nürnberger Bürgerwappen“ von Richard Dietz. Daher sind wesentliche Bestände der beiden Friedhöfe ab dem Jahr 1800 bisher entweder nicht erfasst oder aber nicht gebührend gewürdigt. Die Erfassung aller Epitaphien und Grabdenkmäler auf beiden historischen Friedhöfen ist demnach ein dringendes Desiderat. Die digitale Erfassung des aktuellen Bestands ist daher ein Anliegen sowohl des Vereins Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur als auch des Bürgervereins St. Johannis-Schniegling-Wetzendorf.

Die Alleinstellung der Epitaphien als Grabschmuck der Nürnberger Friedhöfe führte in der Folgezeit zu einem weltweit einmaligen Bestand an handwerklich und künstlerisch höchstwertigen Metallreliefs, deren Herstellung seit nunmehr über 500 Jahre ununterbrochen erfolgt. Die kulturelle Bedeutung der Nürnberger Epitaphienherstellung wurde im Januar 2018 durch die Eintragung in die Bayerische Landesliste des Immateriellen Kulturerbes gewürdigt, welche nicht zuletzt durch den Verein Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur e.V. betrieben wurde.

Claudia Maué

 

 

 

Abbildung 6: St. Johannisfriedhof mit “Portalen” an der Friedhofsmauer, 1736.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildungen:

  • Abbildung 1: St. Johannisfriedhof von Osten, Johann Alexander Boener 1702-1708. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Bild-, Film-, und Tonarchiv, Signatur E13/II Nr. G 144.
  • Abbildung 2: St. Rochusfriedhof von Süden, Samuel Mikovinyi um 1728. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Bild-, Film-, und Tonarchiv, Signatur E13/II Nr. G 339.
  • Abbildung 3: Kriegszerstörungen am St. Rochusfriedhof, Aufnahme um 1947. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Bild-, Film-, und Tonarchiv, Signatur A49/I Nr. He-2789.
  • Abbildung 4: Epitaph des Panzermachers Michel Kobolt von 1596. Foto: Claudia Maué.
  • Abbildung 5: Epitaph des Kaufmanns Martin Peller von 1629. Foto: Claudia Maué.
  • Abbildung 6: St. Johnannisfriedhof mit „Portalen“ an der Friedhofsmauer, 1736. Foto: Stadtarchiv Nürnberg, Bild-, Film-, und Tonarchiv, Signatur E13/II Nr. G 479.

 

2018-04-26T15:52:04+02:00